Drei Jahre im Bergischen

Drei Jahre lebe ich nun schon im Bergischen. Und da im Rheinland als eine Tradition gilt, was man bereits zum zweiten Mal tut, hier also der traditionelle Rückblick.

Wie isses so, drei Jahre nach dem Rauszug?
Nach wie vor eine schwierige Frage. Manches ist ernüchternd. Möglicherweise sogar ernüchternder als vor einem Jahr. Manches ist OK so wie es ist. Und Vieles ist gut – und möglicherweise auch noch besser vor einem Jahr. Alles in allem haben mich viele Entwicklungen in diesem dritten Jahr überrascht. Ich stellte fest: Hebel, die ich bis dato meinte bewegen zu müssen, um hier wirklich anzukommen, haben oft nicht funktioniert. Stattdessen fanden positive und erfüllende Entwicklungen mehrfach in Situationen statt, in denen ich sie niemals vermutet hätte. Was nehme ich also mit, in mein viertes Jahr im Bergischen?

Spaß am Spielfeldrand
Zu den schönsten (und überraschendsten) Erfahrungen gehört diese: Es lebe der Fußballverein! Wer einen fußballbegeisterten Sprössling zu seiner Familie zählt, kennt das Szenario: Am Wochenende heißt es, zu den Spielen zu juckeln. Samstag früh (im Wortsinne: früh!), mit Kaffee-Thermobecher wappnen, Sohn in wettergerechte Fußballpelle hüllen und dann los. Quer über die Bergischen Dörfer. Fest steht: Ich lerne Teile der Region kennen, in die mich sonst nichts geführt hätte. Ich lerne viel über Fußball und es macht mir einen Heidenspaß, am Spielfeldrand mit den anderen Eltern der Mannschaft zuzujubeln. Gemeinschaft über alle Herkünfte und Schichten hinweg. Ich verstehe jetzt, welche wichtige Rolle Vereine im ländlichen Raum spielen.

 
„My home is my castle“
Einer der größten Trugschlüsse ist für mich, dass auf dem Land weniger Anonymität herrscht. Mag stimmen für die, die hier aufgewachsen sind, mit Familie, Nachbarn, Freunden und Verein in Laufweite. Für Zugezogene aber: No way! Denn während in der Stadt – auch aufgrund engerer Wohnverhältnisse – ein entscheidender Teil des Soziallebens auf Spielplätzen, im Park, in Cafés oder anderen öffentlichen Orten stattfindet, gleicht hier der Übergang von Arbeit/Schule/Kindergarten hin zum Privaten oft einem Auto-Transfer von einem Ort zum nächsten. Unterwegs sein per Fahrrad, zu Fuß oder ÖPNV und der Aufenthalt an öffentlichen Orten findet kaum statt. In der Stadt sind genau das die Gelegenheiten, auf Nachbarn zu treffen, gemeinsam ein Stück Weg zurückzulegen, auf einen Plausch stehenzubleiben oder noch spontan in die Eisdiele zu gehen. Doch das Fixiertsein auf Autos eliminiert den kleinen Plausch auf dem Weg oder die spontane Verabredung. „My home is my castle“ – das Verschanzen im Privaten – bekommt hier eine ganz neue Bedeutung.

Natur „aushalten“ lernen
Im Ländlichen zu leben, bedeutet nicht zwangsläufig Naturnähe. Denn ohne Zweifel lässt es sich auch hier leben, ohne viel Naturkontakt zu haben. Die Natur klopft nicht an der Tür an, man muss ihr schon entgegenkommen und – der Knackpunkt – sich auf sie einlassen. Das bedeutet auch: einen Gang zurückschalten, Langsamkeit aushalten, beobachten lernen, den Blick schärfen. Nie hätte ich gedacht, was es beispielsweise im tiefsten Winter im Garten alles zu beobachten gibt. Oder wie viel Zeit ich damit verbringen würde, die Vogel-Party an den Futterknödeln zu verfolgen. Oder zu staunen, wie schnell sich nach der Wintersonnenwende die Schatten verändern. Und welche Tierspuren im Wald im Matsch zu erkennen sind. Und ich gebe zu: Nie hätte ich gedacht, wie lange es bei mir brauchen würde, mich derart einlassen zu können.

 

Raum für Ideen
Würde ich die Eigenschaften von Stadt und Land, so wie ich sie wahrnehme, auf einer Pro-Contra-Liste gegenüberstellen, hätte ein Punkt auf der Pro-Land-Liste einen Spitzenrang, nämlich: Es gibt Platz! Und zwar im Wortsinne Platz zum Laufen, Schauen, Wohnen, als auch im übertragenen Sinne: Platz für neue Entwicklungen. So beispielsweise die Initiative BAFO, die sich für zukunftsweisende Mobilität in Overath einsetzt. Oder das sehr engagierte Forum für Nachhaltigkeit fürs Bergische. Denn im Gegensatz zur Stadt, wo so viele kreative Ideen bereits Fuß gefasst haben, ist hier (Vorsicht: schlimmer Business-Slang) Raum für Innovationen.

 

Fazit:
Vieles wird leichter, wenn man aufhört, Vergleiche anzustellen. Das trifft fürs „echte Leben“ genauso zu wie bei der Frage nach Stadt oder Land. Das eine kann das andere nicht ersetzen und sollte es auch besser nicht imitieren. Ich bin wahnsinnig gespannt, was die nächsten Jahre bringen werden. Sodann!

Christine Peter

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